October 26, 2020

Verhaltensökonomie statt Corona-Panik: Wie das Beachten von Hygieneregeln besser gelingen kann

München, 26. Oktober 2020

Verhaltensökonomen schlagen neue Ansätze vor, um Menschen erfolgreich an Hygieneregeln zu gewöhnen

Nachdem nun fast täglich neue Rekordinfektionszahlen in Deutschland gemeldet werden, gilt es umso mehr, die Hygiene- und Abstandsregeln gewissenhaft zu verfolgen. Mediziner wie der Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt warnten jedoch unlängst davor, dauerhaft Angst oder Panik zu verbreiten – denn dann würde die Bevölkerung abgestumpft werden und würde die Warnungen womöglich nicht mehr ernst nehmen. Stattdessen müsse man mit dem Virus umgehen. Dazu bedarf es der richtigen Strategie, betont Dr. Sebastian Moritz, Vorstand bei der Münchner Beratungsgesellschaft TWS Partners. „Die Verhaltensökonomie bietet wissenschaftlich fundierte Konzepte, mit der die Einhaltung von Verhaltensregeln während der Corona Pandemie noch besser gelingen kann“, sagt Moritz.
Denn bisher klaffen Anspruch und tatsächliches Handeln oftmals auseinander: „Wir handeln nicht immer eigenen Interesse“, kritisiert Moritz. „Das heißt, in der Praxis steht unser tatsächliches Verhalten oft im Widerspruch zu dem gewünschten und eigentlich optimalen Verhalten.“ Zwar ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen seit Ausbruch der Pandemie mehr als einmal von den notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln gehört haben. Dennoch werden diese nicht zu jeder Zeit und von allen konsequent umgesetzt. „Öffentliche Appelle haben hierbei in den letzten Monaten keine grundlegenden Verbesserungen erzielt – eher werden die Menschen nachlässiger“, so Moritz. Wird das subjektive Risiko unterschätzt, ist es natürlich schwerer, eine Person davon zu überzeugen, sich die Last der Hygiene- und Abstandsregeln freiwillig aufzuerlegen. Hinzu kommt, dass der Erfolg von Hygienemaßnahmen stets von der Mitwirkung aller abhängt. Grundsätzlich brauche es daher neue Ansätze, um dieses kollektive Problem anzugehen.

Es braucht ein gemeinsames Ziel

Als erstes sei es für den Erfolg von Verhaltensänderungen zentral, dass alle Mitbürger zur Teilnahme motiviert werden. Dies kann zum Beispiel erreicht werden, wenn ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel gesetzt wird. „Im Frühjahr hieß dieses Ziel noch „flatten the curve“ und zielte darauf ab, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dieses Ziel wurde durch ein großes Engagement der Bevölkerung bei der Einhaltung der Maßnahmen auch erreicht. Daher wäre eine ähnliche gesamtgesellschaftliche Zielsetzung jetzt wieder hilfreich – auch um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken“, so Moritz. In Österreich gebe es beispielsweise eine großangelegte Kampagne mit dem Motto „Schau auf dich, schau auf mich. So schützen wir uns”, mit der die Bundesregierung und das Rote Kreuz permanent und schon seit Monaten in allen Tageszeitungen, in Radio und Fernsehen sowie online über das Coronavirus informieren.

Nudging erleichtert Einhaltung von Maßnahmen

Praktische Maßnahmen, die die neuen Regeln stets in Erinnerung rufen und ihre Einhaltung erleichtern, sind ebenfalls sinnvoll. So muss der Zugang zu Desinfektionsmittel und Gesichtsmasken überall schnell und einfach möglich sein. Der Zeitaufwand für die Hygienemaßnahmen muss so gering wie möglich gehalten werden. Auf Abstandsmaßnahmen kann mit einfachen Schildern, Markierungen und physischen Barrieren in den jeweiligen Kontexten hingewiesen werden. „Generell gilt dabei: Das gewünschte Verhalten muss so einfach wie möglich gemacht werden. Alles was eine größere Anstrengung erfordert, läuft Gefahr ins Leere zu laufen“, betont der Ökonom. Das alte, unerwünschte Verhalten hingegen solle erschwert werden beziehungsweise keine Vorteile mehr bieten. In der Verhaltensökonomie bezeichnet man diese Anreizsetzung als „Nudging“ – die Person soll zum gewünschten Verhalten quasi „angestupst“ werden.
„Mithilfe kleiner Anreize und Erinnerungen können Menschen durch konsequentes Nudging dazu gebracht werden, freiwillig als sinnvoll erachtete Dinge zu tun, die sie ansonsten aus Gewohnheit oder Trägheit von sich aus nicht machen würden“, erklärt Moritz. Insgesamt belegen zahlreiche Studien, dass moderne verhaltensökonomische Konzepte Menschen besser zum gewünschten Verhalten verleiten können als autoritäre Ansätze.